Wege erzählen Geschichten. Dass die Erzählungen oftmals sehr persönlich ausfallen, ist dem nachfolgenden Text von Frau Shu-Jyuan Deiwiks zu entnehmen – einer Ostasienwissenschaftlerin (Sinologie, Mandschuristik, Japanologie), die nach dem Studium in Taibei und den USA an der Universität zu Köln unterrichtete . Sie war Vorsitzende und treibende Kraft des Ostasien-Instituts e.V. (OAI) in Bonn. Den Musikfreunden unter uns ist sie als Organisatorin des Konzerts „Klänge aus Ostasien. Zeitgenössische Musik aus alten und neuen Traditionen Taiwans“, das am 02. Oktober 2022 im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses Bonn stattfand, bekannt. Unter anderem kam das Stück „Sound Color Density“ der 1970 geborenen taiwanesisch-amerikanischen Komponistin Zhichun Li (Chichun Chi-sun Lee) zur Aufführung. Die Titel der ersten beiden Sätze (es gibt insgesamt drei) „Texture/ Density“ und „Color/ Timbre“ verdeutlichen den Charakter des Textes von Shu-Jyuan Deiwiks, der in seiner Textur dicht und in seiner Stimmungslage voller Zwischentöne ist. Er handelt vom Gehen und vom, wie ich ergänzen möchte, ersehnten Ankommen.
Heinrich Geiger, 10.10.23
Shu-Jyuan Deiwiks, Elten – ein Grenzdorf
Seit meinem Umzug im August 2022 von Rösrath im Bergischen Land nach Elten, Emmerich am Rhein, agiere ich wie eine Touristin, die nach der Ankunft im Urlaubsort neugierig die Ortschaft erkundet. Zuvor war ich bereits vom ersten Blick angetan: von der Autobahn heruntergefahren, sah ich auf der Landstraße zum Ortskern viele hübsche mittelgroße Häuser auf einer Seite, auf der anderen Seite dichte Wälder. Sehr bald bemerkte ich die Windmühle, dann die Turmspitze der Dorfkirche. Im Dorfzentrum angekommen, sah ich den „Markt“ genannten Platz vor der Kirche St. Martinus und, rund herum um den Marktplatz, Geschäfte wie eine Bäckerei, eine Eisdiele, Banken, Restaurants, ein Hotel usw. Vor der Bäckerei und der Eisdiele saßen Menschen, die Kaffee mit Kuchen oder Eis aßen. Unter dem großen Baum in der Mitte des Platzes beobachteten einige Leute das Treiben im Dorf und genossen im Schatten des Baumes die Kühle. Ein ruhiges und gelassenes Bild.
Nach dem Einzug in die neue Wohnung begann ich den Ort Elten genauer kennenzulernen.
Elten ist an drei Seiten, außer im Süden, von den Niederlanden umgeben. Es ist sehr leicht, den niederländischen Boden zu betreten. Wenn ich 700 Meter nach Nordwesten zum Bahnhof, eigentlich nur eine Haltestelle, laufe, befinde ich mich auf der anderen Seite der Schiene bereits in den Niederlanden. 400 Meter südwestlich meiner Wohnung führt eine Straße zur niederländischen Stadt Spijk. Das Gebiet nördlich von dieser Straße gehört zu den Niederlanden, die Straße selbst und das Gebiet südlich davon gehören zu Deutschland. Man kann mit einem Fuß auf dem niederländischen und mit dem anderen Fuß auf dem deutschen Boden stehen. Dies ist in meinem neuen Wohnort nichts Ungewöhnliches.
Elten ist bekannt als ein Ort der kurzen Wege. Innerhalb von 400 Metern von meiner Wohnung gibt es in drei Richtungen jeweils einen Supermarkt. Der Weg dorthin führt durch den alten Friedhof bzw. durch den Dorfkern. Zu meinem Alltag gehört mittlerweile auch der Spaziergang auf den Eltenberg, ein Fußweg von ca. 20 Minuten. Ich gehe durch die Lindenallee, an deren Seiten schöne Villenhäuser zu bewundern sind. Auf dem Berg angelangt, gehe ich am Touristenzentrum und Minigolfplatz vorbei zur Stiftskirche St. Vitus. Diese Kirche wurde im Mittelalter erbaut (der Stil ist romanisch), erlitt aber mehrmals Zerstörungen durch Krieg oder Brand und wurde jedes Mal neu aufgebaut. So finden sich auch Architekturelemente im gotischen Stil. Eine Kirche mit zwei unterschiedlichen Baustilen ist selten. Im Inneren ist die Kirche schlicht, aber dennoch elegant. Der Altar verfügt über ein Holzwerk, das im Original erhalten ist und aus dem 17. Jahrhundert stammt. Das Bild im Mittelpunkt der Holzschnitzerei zeigt das Feuer, das im damaligen Krieg von Emmerich bis nach Elten wütete.
Hinter der Kirche verläuft ein Spazierweg mit drei Sitzbänken, die einladen, die Landschaft aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Von dort sehe ich hinunter auf das Rheindelta, in der Ferne die rote Rheinbrücke, gelegen zwischen Emmerich und Kleve, und oben die Wolkenspiele. Im Wald um die Stiftskirche ist ein Kreuzweg eingerichtet. Allerdings fand ich bisher nur einige Stationen. Im Wald ist ein kleiner Altar mit einer Skulptur der heiligen Familie. Der Altar wird regelmäßig mit frischen Blumen geschmückt. Bevor ich weitergehe, muss ich über meinen Rückweg entscheiden: den Weg nehmen, den ich gekommen bin, oder weiter westlich über das Feld, oder steil bergab hinunter auf die Emmericher Straße. Andererseits kann ich auch gen Osten in die Waldsiedlung gehen, um so nach Norden zum Dorfkern zu kommen. So mache ich aus dem Ort der kurzen Wege einen Ort der langen Wege, indem ich in der Gegend herumlaufe, und z. B. zum Denkmal für verstorbene Soldaten oder zur Grillhütte im Wald oder zu manchen anderen schönen Ecken gelange. Die Stiftskirche St. Vitus auf dem Eltenberg und die Kirche St. Martinus im Dorfzentrum sind meine Orientierungshilfen. Ohne Stadtplan oder Kompass finde ich immer den Weg nach Hause.
Im Norden des Dorfes, wo es direkt an die niederländische Gemeinde Zevenar grenzt, befindet sich das Neubaugebiet mit meist freistehenden Einfamilienhäusern, ähnlich wie in anderen deutschen Städten. Im Süden von Elten, am Fluss Wild, liegt ein Erholungsgebiet mit zwei Campingplätzen. Im Osten des Dorfes gibt es größere Höfe, die Erdbeeren, Spargel, Kartoffeln anbauen und verkaufen. In den Sommermonaten herrscht dort reger Betrieb.
Die nächsten niederländischen Städte sind u. a. Zevenar im Norden und Beek sowie s’Herrenberg im Osten. Diese hübschen Städtchen sind wie Elten und Emmerich zu Urlaubszielen sowohl für Deutsche als auch für Niederländer geworden.
Bei einem Spaziergang auf dem Eltenberg, kurz nach meinem Umzug, sprach mich einmal ein älterer Herr an, als ich vom Aussichtspunkt aus Fotos vom Rheindelta machte. Da er einen Fotoapparat trug, hielt ich ihn zuerst für einen Fotografen. Statt über Fotografie zu reden, fing er an, mir die Bauten in der Landschaft zu erklären. Die rote Brücke fällt als erstes ins Auge, die majestätisch über dem Rhein hängt und an die Golden Gate Bridge in San Francisco erinnert, nur in kleinerem Format. Am anderen Ende der Brücke befindet sich die Stadt Kleve. Weiter hinten beginnen bereits die Niederlande. Nachdem er über die Landschaft gesprochen hatte, fragte er mich, ob ich Zeit und Lust hätte, mit ihm einen Spaziergang durchs Dorf zu machen. Ich war angenehm überrascht von seiner Offenheit und nahm seinen Vorschlag an. Er stellte sich mit Vornamen vor, eine Sitte der Niederländer. Ich fragte vorsichtshalber nach seinem Familiennamen. Er, Herr F., fing an über Fremdsprachen zu sprechen. Er vermutete, dass ich als Asiatin mehrsprachig sein müsste, um in Deutschland leben zu können. Anders als seine Frau, die fünf Sprachen fließend spricht, kann er nur Deutsch. Ihre Kinder gingen in den Niederlanden zur Schule und lernten problemlos zwei Fremdsprachen, Niederländisch und Englisch. Anscheinend ist Mehrsprachigkeit für ihn ziemlich wichtig. Wir tauschten einiges über unsere jeweilige Familie aus. Herr F. führte mich dann nach Osten über den Trimm-Dich-Sportplatz, dann durch eine große Obstwiese und durch den von Sommertouristen beliebten Barfußpfad. Wir kamen beim neuen Friedhof am Ortsrand heraus und gingen gen Norden zum Dorfkern zurück. Es stellte sich heraus, dass er nur um die Ecke bei mir wohnt.
Diesem Herrn F. bin ich in den darauffolgenden Monaten sehr oft begegnet. Er nahm mich manchmal auch gleich mit auf seinen Spaziergang und stellte mir neue Stätten vor. Er kennt viele Leute im Dorf und konnte erzählen, z. B. wer die wichtigste Person für Elten sei, nämlich der Tankstellenbesitzer – das tat er, als wir an dessen Haus mit einem Vorgarten, in dem das Modell einer Tanksäule steht, vorbeigingen. Ein anderes Mal führte er mich zum neuen Friedhof. Einige Verstorbene, die dort liegen, kannte er gut. Ich erfuhr von ihm, welche Beiträge diese Menschen, darunter ein Türke und ein Grieche, für Elten geleistet hatten. Eine kurze Dorfgeschichte sozusagen.
Die zweite Person, die mein Einleben in Elten erleichtert hat, ist eine Nachbarin im Haus, Frau R. K. Sie kam vor 4 Jahren von Spanien hierher und ist fast jeden Tag durch die Straßen in Elten gelaufen. Sie führte mich in den ersten Monaten an viele Orte und erzählte mir auch, was sie von den Einheimischen erfahren hatte. Wir spazieren nun zusammen durch den Wald oder durch die verschiedenen Teile des Dorfes, wenn das Wetter es erlaubt.
Im Laufe der Zeit kam ich auch mit anderen Spaziergängern ins Gespräch, wenn ich alleine unterwegs war. Ich erinnere mich an einen älteren Niederländer mit einem niedlichen kleinen Hund. Nach dem ersten Hallo fragte er nach meiner Herkunft. Als ich Taiwan nannte, wusste er sofort über die Spannung zwischen meiner ursprünglichen Heimat und China Bescheid. Wir sprachen eine Weile über die politische Situation in Asien. Dann erzählte er mir, dass er eigentlich ein Amsterdamer sei. Nach seiner Pensionierung sei er nach Elten gezogen, weil er den Lärm und die vielen Menschen in Amsterdam nicht mehr ertragen wollte. Er fand Elten einfach ideal für ein ruhiges Leben in der Natur. Der Umzug nach Elten war für ihn daher die beste Lösung. Er war der erste Niederländer, dem ich in Elten begegnete.
Ein anderes Mal sprach mich eine ältere Frau an. Sie wollte wissen, woher ich käme. Ich bin die einzige Asiatin in Elten. Als wir uns weiter unterhielten, äußerte sie ihr Bedauern, dass ihre Kinder sie nicht so oft besuchen kämen, wie sie es sich wünschte. Ich spürte ihre Einsamkeit, unter der viele ältere Menschen in Deutschland leiden.
In meinem Alltag treffe ich verschiedene Lieferanten im Haus. Der Mitarbeiter einer Lebensmittelfirma singt bereits, wenn er vor dem Haus parkt und Waren aus dem Wagen holt. Er singt klassische Melodien, während er die Bestellungen durch die Flure zu den Wohnungen bringt. Ich hätte ihn für einen Opernsänger gehalten.
Jeden Freitag kommt ein niederländischer Gemüsehändler aus Didam ans Haus. Die Nachbarschaft kommt zusammen, um bei ihm einzukaufen. Der Händler macht oft Scherze und erheitert die Kundschaft. Für kurze Zeit ist vor unserem Wohnhaus Gelächter zu hören.
Dann gibt es noch einen Syrer, der schräg gegenüber im anderen Haus wohnt und sehr oft draußen im Vorgarten sitzt. Er grüßt jeden, der vorbeigeht. Ab und zu winken wir uns zu, wenn wir einander durch unsere Fenster sehen.
Zu Weihnachten ging eine Gruppe Posaunenmusiker Weihnachtslieder spielend durch die Straßen. Als sie auf der Parkanlage neben unserem Wohnhaus ca. 15 Minuten gespielt hatten, gingen viele Fenster auf. Die Menschen drinnen applaudierten und riefen laut „Dankeschön“ oder „Bravo“ zu den Musikern für ihre warmherzige Musik in der winterlichen Kälte.
Auf dem Sommerfest im Juni tanzte eine niederländische Volkstanzgruppe für die Menschen vom Altenheim, die im Rollstuhl oder mit Rollator kamen. Alle hatten einen fröhlichen Nachmittag mit Kaffee und Kuchen verbracht.
Das Schützenfest dauerte nicht nur übers Wochenende, sondern auch noch bis Montag früh. Gegen 6:30 Uhr wurde ich von der Blasmusik draußen wach. Gegen 8:00 Uhr kamen alle Musikgruppen vor unser Haus. Nachdem sie etwas gespielt hatten, gingen sie hinein, vermutlich zum Frühstück. Danach, kurz vor 9 Uhr gingen sie auseinander. Damit war das Schützenfest wohl offiziell beendet. Und das Ganze bei Nieselregen!
Ich glaube, man kann solche Gegebenheiten nur in einer kleinen Gemeinschaft erleben. All diese fröhlichen Menschen tragen dazu bei, dass hier eine gute und gelassene Atmosphäre herrscht.
In den ersten Monaten in Elten habe ich fast alle Sehenswürdigkeiten und historische Stätten wie die Windmühle, den Eltenberg, die Stiftskirche St. Vitus, die Kirche St. Martinus usw. besichtigt, nur nicht den Drususbrunnen, weil er von November bis März geschlossen ist und sonst auch nur sonntags offen ist.
Einige ältere, aber schöne Häuser wurden leider nicht sonderlich gepflegt, wie ein Wohnhaus in der Nähe des Bahnhofs. Es ist ein Haus im Jugendstil. Die Haustür und die Fenster zeigen die für ihn typischen anmutigen Verzierungen. Leider ist die Fassade etwas zerbröckelt.
Ein anderes Beispiel ist das Waldhotel auf dem Eltenberg. Das Hotel steht wie die Stiftskirche St. Vitus auf einer Anhöhe, wo man von der Terrasse aus direkt auf das Rheindelta blickt. Zum allgemeinen Bedauern ist es seit 8 Jahren eine häßliche Baustelle. Der Eigentümer ist ein Niederländer; er beschäftigte einen Architekten und Bauarbeiter aus den Niederlanden, die nicht immer über die deutschen Baugesetze Bescheid wussten. Folglich geriet er in Konflikt mit der hiesigen Baubehörde. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass er sich mit seinen Nachbarn, die alle Niederländer sind, überworfen hat. Hier tobt seit Jahren ein niederländischer Nachbarschaftskrieg, und ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Als der Drususbrunnen ab Frühjahr sonntags geöffnet war, besuchte ich ihn einmal. Die sympathische Gästeführerin erklärte die Geschichte und die Technik des Brunnens. Der Brunnen versorgte bereits im Jahre 980 n. Chr. die ca. 20 dort wohnenden Familien. Der Name Drusus ist mehr eine Legende, denn es ist nicht bekannt, dass der römische Heerführer Drusus jemals in Elten gewesen war. Der Brunnen ist 57 Meter tief. Er wurde noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben. Selbst heute würde er noch funktionieren, denn er wird von Zeit zu Zeit geprüft. Lediglich aufgrund der mühsamen Arbeit und der neu installierten Wasserversorgung hat man die Nutzung des Brunnens aufgegeben. Das Interessanteste für jeden Besucher, besonders für Kinder, ist, einen Eimer Wasser in den Brunnenschacht hinabzulassen. Genau 8 Sekunden später hört man das Platschen auf die Wasseroberfläche, tief unten.
Nach der Demonstration der Brunnentechnik kam ich mit der Gästeführerin ins Gespräch. Ich fragte sie nach dem Umstand der Rückführung von Elten in die deutsche Verwaltung im Jahre 1963. Da ihr erst 2022 verstorbener Großvater diese Zeit erlebt hatte, konnte sie mir lebhaft erzählen: Elten stand seit 1949 unter niederländischer Verwaltung. 1963 wurde Elten wieder Deutsch. Die deutsche Bundesregierung hatte Elten sozusagen „zurückgekauft“. Es war eine umstrittene Entscheidung, die Bevölkerung war geteilter Meinung. Manche Eltener wollten lieber weiter niederländisch bleiben, andere lieber deutsch werden. Nur die Einwohner in Elten wurden gar nicht gefragt. Es gab keinen Bürgerentscheid.
Ein weiteres Mal wurde, abermals über ihren Kopf hinweg, der Beschluss gefasst, Elten nach Emmerich einzugemeinden. Elten war in niederländischer Zeit schon ziemlich reich und blieb danach auch reich, während Emmerich hoch verschuldet war. Die Eingemeindung war kein gutes Geschäft für die Eltener, so die Gästeführerin. Elten gilt heute als ein besseres Wohngebiet der Stadt Emmerich am Rhein.
Die Atmosphäre in Elten ist sowohl deutsch als auch niederländisch. Ungefähr 40% der schätzungsweise ca. 4700 Einwohner sind Niederländer. Überall und jederzeit hört man Niederländisch, bei der Post, in Supermärkten usw. Auf dem Wochenmarkt spricht die Mitarbeiterin des Fischstandes aus den Niederlanden die Kunden grundsätzlich auf Niederländisch an. Sie wechselt erst ins Deutsche, wenn der Kunde Deutsch spricht. Der Gemüsehändler aus dem niederländischen Didam, der vors Haus kommt, spricht immer zuerst Deutsch, wohl weil er in Deutschland verkauft. Grob geschätzt hat die Hälfte der Autos auf den Straßen niederländische Nummernschilder. Viele Läden und Straßen tragen niederländische Namen.
In Elten spricht man daher häufig von der 14 Jahre langen niederländischen Zeit (1949-1963) . Das erinnert mich an meine ursprüngliche Heimat Taiwan. Taiwan hatte eine holländische Zeit von 38 Jahren (1624-1662) und eine japanische Zeit von 50 Jahren (1895-1945). 2024 soll laut Medienberichten an die Holländische Regierung vor 400 Jahren in Tainan (Hauptstadt der Niederländer) in Südtaiwan erinnert werden. Als bestes Beispiel für die Architektur dieser Zeit dient die Festung in Tainan, die über ein Verwaltungsgebäude mit einem Wachturm und einigen Kanonen außerhalb verfügt. Im Gegensatz zu demjenigen der Niederlande ist heute immer noch ein deutlicher Einfluss aus japanischer Zeit zu sehen. Viele Häuser im japanischen Stil stehen heute unter Denkmalschutz. Viele andere werden renoviert und weiter genutzt. Neue Gebäude werden im japanischen Stil gebaut, besonders wenn sie als Urlaubsdomizil gedacht sind. Sprachlich und kulturell ist noch vieles japanisch. Im Bewusstsein mancher Bevölkerungsschichten ist das Japanische noch sehr präsent. Heutzutage sind japanische Touristen in Taiwan eine größere Gruppe, umgekehrt eben so. Beide Länder sind in vielen Bereichen eng miteinander verbunden.
Anders als Elten haben die Straßen oder Geschäfte in Taiwan kaum noch japanische Namen, es sei denn, es handelt sich um japanische Restaurants. Was Taiwan mit Elten gemeinsam hat, ist, die Tatsache, dass sowohl Taiwan als auch Elten ihren ehemaligen „ausländischen“ Verwaltungseinrichtungen positiv gegenüber stehen, obwohl allen in Taiwan bewusst ist, dass sie Kolonialmächte bzw. Besatzungsmächte waren.
Ich glaube, Elten wird mein letzter Wohnort in Deutschland sein, und hoffentlich auch meine Heimat. Elten hat das beste Potenzial, mich heimisch werden zu lassen. Natürlich hängt das auch davon ab, wie aktiv ich ins Leben hier eintauche, wie ich die Interaktion mit meiner Umgebung gestalte. Auf jeden Fall war das erste Jahr für mich sehr interessant, und die Urlaubsstimmung hält an. Das verdanke ich Frau R. K. und Herrn F. Als Eltener gibt mir Herr F. sein Wissen über seine Heimat weiter; als früher Zugezogene zeigt mir Frau R. K., was sie in Elten kennengelernt und von den Einheimischen gehört hat. Es ist ein Glück für mich, Menschen wie ihnen begegnet zu sein, denn sie haben wie andere fröhliche Menschen in Elten mein Einleben hier erleichtert. Eines Tages werde ich vielleicht Elten meine Heimat nennen können, wenn ich hier wirklich im Alltag angekommen bin.