Gastbeitrag Anja M. Rommel: Von was Hände sprechen

Liebe Leserinnen und Leser meines Blogs,

seit Herbst vergangenen Jahres habe ich keine neuen Beiträge verfasst und ins Netz gestellt. Ich war in den zurückliegenden Monaten mit der Arbeit an einem neuen Buch befasst. Ich bin gut vorangekommen und hoffe, dass es in nicht allzu weiter Ferne erscheinen wird. Umso mehr freut es mich, dass Anja M. Rommel mir einen Kommentar geschickt hat, mit dem sie zeigt, dass die Texte meines Blogs nachhallen, den ganzen Menschen ansprechen. Rommel kommentiert den Gastbeitrag des Tuschmalers Thorsten Schirmer, der 2023 in meinem Blog erschien, mit einer „existentiell sensibleren Begrifflichkeit“, deren Notwendigkeit einmal Karl Heinz Bohrer anmahnte. Dadurch eröffnet sie der ästhetischen Betrachtung einen neuen Horizont. Bohrer würde hier von einer „kritischen Seismographie“, die „an der kreativen Wahrnehmung und Schilderung menschlicher Zustände, individuellen und kollektiven“ ansetzt, sprechen. „Schönheit“ (im Chinesischen mei) zeigt sich dann nicht mehr als eine ins Allgemeine enthobene Erfahrung des einzelnen Menschen, als philosophische Universalie, sondern als das, was sie in Wirklichkeit ist: Als eine Herausforderung an jeden von uns.

Adressiert ist der Text Anja M. Rommels vom 28.01.2024 an zwei Personen: Zum einen an den Verwalter des Blogs (Heinrich Geiger) mit allgemeinen Ausführungen und zum anderen an den Verfasser eines früheren Gastbeitrags (Thorsten Schirmer) mit konkreten Einlassungen zu einem von ihm 2023 verfassten Text, einem Gastbeitrag zum Thema der Tuschmalerei.

Bonn, 06.02.2024                                                                Heinrich Geiger

Zur Autorin

Anja M. Rommel studierte Sinologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Leipzig. Entlang ihrer Magisterarbeit mit dem Titel Theorien auf Wanderschaft: Die chinesische Rezeption der Adorno’schen Kategorie des Hässlichen” formierte sich ihr zunehmendes Interesse an der Ergründung nicht-europäischer Wahrnehmungspraktiken. Sie forschte zum Werk des Erkenntnistheoretikers 冯契 Feng Qi (1915-95), im Spezifischen seiner Expanded Epistemology und war von 2017-2018 als Promotionsstipendiatin am Ostasiatischen Institut der Universität zu Köln tätig. Ihre Leidenschaft für die Praxis des Wing Tsun Kungfu, mit der sie 2015 im Sinne eines persönlichen Kultivierungsweges begann, brachte jedoch lebensweltliche und berufliche Fokuswechsel mit sich, welche in einer längeren Abwesenheit aus den Wissenschaften resultierten. Ihr Dissertationsprojekt trägt den Arbeitstitel „Das Konzept der Elastischen Kraft im Wing Tsun-Kungfu nach Großmeister 梁挺 Leung Ting (1947-): Medi(t)ationen einer kultur-ästhetischen Praxis” und diskutiert die WT-spezifischen Vorgehensweisen inmitten ihrer Befragung als Wissensformen resp. nicht-diskursive Wissenspraktiken. Durchdrungen wird ihre Forschung von der Bestrebung eines methodischen Brückenbaus zwischen den vermeintlichen „Künsten” und den vermeintlichen „Wissenschaften”, angeleitet von der WT-ästhetischen Gleichung: Empfind-samkeit > Empfind-lichkeit.

Text

(FRAGMENT 1)

Werter Heinrich,

Nach langer Müdigkeit habe ich zurückgefunden; ein ästhetischer Spaziergang“ einer anderen Art und Weise liegt hinter mir, dies sei nun gewusst… So viele neue, wunderbare, neue Zeilen sind hier zu entdecken, die Landschaft wächst und die Schriftrolle wird länger und länger. Für den Ausdruck der von dir mittlerweile versammelten Beiträge braucht es bereits eine Tapetenrolle. Vielen Dank für deine Ausdauer, es wird erkenntlich, dass sich bereits Einige an diesem Unterschlupf – oder vielleicht sogar eher Aussichtsplattform – erfreuen!

Ich würde mir gern erlauben, einen kleinen Kommentar zu dem Gastbeitrag von Thorsten Schirmer zu geben, um der von ihm gelegten „Tuschespur der Katze“ lesend = schreibend für einen Moment zu folgen. So hinterließ mein Stift drei Spuren im Sinne von drei Anzeichen, Anzeichnungen, welche die folgende Denkbewegung anführ(t)en:

***

Werter Herr Schirmer,

gern würde ich ihren Text von hinten aufrollen und mit der ersten Nachfrage als der ersten Spur meiner Notiz und zwar zu der „Überlieferung aus erster Hand“ beginnen: So frage ich mich, was bzw. wessen „erste Hand“ Sie damit meinen? Glücklicherweise hält die Hand, soweit ich weiß, soweit ich meine kenne, kein kulturspezifisches Wissen inne. Eine Ausnahme möge höchstens die Hand der Fatima (auch Hamsa, Chamsa, Khamsa, arabisch خمسة , DMG ḫamsa ‚fünf‘)  darstellen.

Meine Hände, sprechen auf keinem ihrer Wege von „Ost und West“, womöglich eher noch von „rechts“ und „links“. Auch an-hand der Oberfläche der Hand (und allem weiteren), der Haut, ist eher das zweite zutreffend, wortwörtlich im Sinne von „zu-treffen“. Im Kontext der „Kampfkunst“, wie es die meisten wohl benennen würden, werden die Worte überstiegen; die Eigenart und -weise der künstlerischen Praktiken. So zeigt (m)ein Blick auf die Hände körperlich-ablesbare Spuren als ein vergangenes Gespürtes, welches seine Gestalt in die Gegenwart ausweitet… Vorausgesetzt die Gelenke sind nicht zu verklebt, scheint sich die Führung der Hände doch eher in Bedingtheit mit dem Herzen, dem Herz-Geist zu ereignen. Ob nun durch den Pinsel, durch den Stift aus Blei oder gar ohne sie: erst dessen Leidenschaft und das er-schaffene Leiden des Herz-Geistes eröffnet den Zwischenraum, in dem sich alle sinnhaften und sinnlosen Übungen abzuspielen scheinen. Es bildet den Zwischenraum, aus dem sich irgendwann, irgendwie, irgendetwas Gewusstes in Bewusstes verwandelt und sich in Bildschrift = dem Schriftbild form(alis)iert; bevor es zum Egalen, dem vielleicht einzigen Realen (?) wird.

Oder, was denken Sie?

(FRAGMENT 2)

            Präskript: Ich glaube, ich habe doch geschwindelt, es gab für mich ebenso ein „Ost“ und „West“, vor allem als die Mauer dann gefällt wurde…

Die zentralen Fragen des Daseins gilt es nicht nur folgerichtig zu zentrieren, sondern ebenfalls aus der Mitte heraus, gleichzeitig gen Mitte, gleichzeitig als Mitte zu ergründen, so vermute ich. Dieser Art und Weise der Richtung oder vielmehr der Weg(be)gehung werden längst nicht genug Zeit und Raum eingestanden, das glaube ich zu wissen. Besonders in Bezug auf die, von Herrn Schirmer an 2. Stelle platzierten Frage darüber, was nach dem Tod geschieht. Höchstwahrscheinlich ver-irre ich mich hier und es war nicht Martin Heidegger, der der Ansicht war, dass es sich bei dem Tod eben nicht um ein empirisches Ereignis, sondern um ein existentielles Phänomen handelt? Gehörte nach ihm sowie nach seinem Tod, der Tod nicht nur dem, der ihn durchläuft bzw. dem, durch den er läuft, dem, der von ihm passiert wird, ohne dass es ihm wirklich passiert? Feststeht, dass man im Zuge dieser Passage für immer mit-genommen wird und mit-gerissen bleibt. Die Frage, „Was bin ich?“, welche danach zu fragen scheint, was das Ich ist, begrenzt sich eben hoffentlich nicht nur auf das Sein oder Seiende, denn dessen Raum und Zeit sind viel zu kurz und klein. Aber wer versteht außer Martin schon diesen Unterschied? Auch nach Heidegger(s Leben) bleibt das Dasein immer eine Bewegung in Richtung des AB-lebens im Sinne eines Lebensendes, welches sich in ein sich anschließendes ablöst und in diesem ein neues AUF-leben freilegt…

(FRAGMENT 3)

Die dritte kleine Spur verklebt die von Herrn Schirmer angesprochene „Versenkung“ (Dhyana) mit der „Hauptübung der stillen Kontemplation im Sitzen“. So wäre ich mehr als dankbar für eine weitere Aufklärung, denn wissen wir doch alle, dass das Licht einfacher durch klare Wassertropfen zu scheinen weiß.

So frage ich mich schon eine halbe Ewigkeit, wie es dazu kam, das Sitzen als die entspannteste Position, als die den Grund für die Versenkung im Sinne einer Inne-Werdung/Inne-Wohnung legende, zu wählen. Das Liegen ist doch so viel aufwandsloser, oder? Oder gleicht das Liegen zu sehr der (sprach-)bildlichen Vorstellung der absoluten Versenkung im Sinne des Todes und wird somit nicht als zentral angesehen? Es ist aber ja auch möglich, dass sich meine Wahrnehmung immer um die sitzenden Buddhas gedreht hat, immerhin erscheint es so, als würden sie mit ihrem Sitzen die „erhabene“ Mitte zwischen Erde und Himmel bilden. „Perfekte“ 90 Grad, Füße und Knie neigen im Lotussitz gen Erde, der Blick aufrecht ohne zu sehen. Kein Übungsweg scheint in ihrem Sitzen mehr erforderlich, keine Not mehr, die es zu wenden gäbe; nichts wovon man sich zu lange ausruhen müsste.

Wie seht ihr den Buddha, welche Buddhas seht ihr, ob nun mit müden oder hellwachen Augen?

… Beim Schreiben neigt sich unser Blick, wie eine kleine Verbeugung vor dem Papier und das im Zuge der Praxis des Stiftes und des Pinsels. Eine Staffelei für das Schreiben würde vielleicht noch mehr Aufre/ichtigkeit mit sich bringen?

Nun ist mein Stift ausdauernd, doch mein A4-Papier geht dem Ende entgegen. Für eine vorletzte und letzte Frage sei jedoch immer ein kleiner Zeitraum in den Zwischenräumen zu finden. So frage ich mich und Sie, Euch, wo zeigen die Handflächen des Buddhas hin? Oder führt diese Frage ins NICHTS, solange beide Hände dem gleichen Quell entspringen? 心。。。

信?

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