Zhang Deyi (1847-1918), der uns in dem Buch Die Entdeckung des Westens. Chinas erste Botschafter in Europa 1866 – 1894 (Feng Chen, aus dem Französischen von Fred E. Schrader, Frankfurt am Main: Fischer, 2001: S. 180) als der „erste chinesische Karrierediplomat“ vorgestellt wird, verbrachte zwischen 1866 und 1906 im diplomatischen Dienst seines Landes mehrere Jahre in Europa. Mit seinen europäischen Tagebüchern, den Wunderbaren Geschichten (Shuqi), wollte er seine Landsleute an seinen Erfahrungen in der Ferne, unter die auch Beobachtungen zu europäischen Parks und Grünanlagen fallen, teilhaben lassen. U.a. beobachtete Zhang, daß die europäischen Wohnhäuser den Menschen von der Natur abschneiden und folgerte daraus, dass diese vom Menschen architektonisch bewirkte Trennung von der Natur der Grund für die Existenz von öffentlichen Park- und Gartenanlagen sei. (ebenda: S. 54)
Ebenso wichtig wie diese Beobachtung dürfte aus interkultureller Sicht die Feststellung Zhang Deyis sein, daß die Funktion des Parks als öffentlicher Einrichtung für ihn interessanter sei als dessen ästhetischer Wert, da sich nach seinem Verständnis Regent´s-, Hyde- und St. James-Park, um nur einige der von ihm namentlich genannten Parkanlagen anzuführen, allzu sehr ähnelten. Überall seien der gleiche Bewuchs, die gleichen Teiche und die gleichen Wege sowie die gleichen Sitzbänke zu sehen. Und ein anderer chinesischer Gesandter, Li Shuchang (1837-1897), der von 1876 bis 1881 in England, Frankreich, Deutschland und Spanien als Berater der chinesischen Botschaft arbeitete, merkt in Ergänzung dazu an, dass es, wie er beobachtet habe, dem Besucher der Parkanlagen nicht auf botanische Vielfalt, sondern auf bestimmte Aktivitäten zur Rekreation ankomme. (ebenda: S. 54)
Mittlerweile – im sozialistischen China und auch schon in den Jahrzehnten davor – gibt es in allen chinesischen Groß- und Kleinstädten Parkanlagen, die, wie es von Zhang Deyi und Li Shuchang für die europäischen Anlagen vermerkt wurde, unter rein funktionalen Aspekten geplant und angelegt wurden. Obgleich in den letzten Jahren diese städtischen Flächen umgestaltet wurden und somit ein neues, viel freundlicheres Gesicht erhielten, ändert dies doch nichts an der Tatsache, dass nicht nur aus der Sicht eines traditionell geschulten Chinesen der Park und der Garten inkompatible Größen sind, die einer unterschiedliche Funktionalität gehorchen und damit sich auch in ihrem ästhetischen Programm wesentlich unterscheiden.
Im Gegensatz zum Park, in dem seit dem 19. Jahrhundert Volkssport und soziale Interaktion im Vordergrund stehen, ist der Garten ein Ort des Privaten, ganz gleich ob er nun, wie in China, für den Gebrauch des Kaisers, die Mußestunden von Angehörigen der Aristokratie oder von Großgrundbesitzern bestimmt war. Kontemplation und Imagination sind mit dem Garten eng verknüpft, weshalb sich auch die chinesischen Gesandten über die westlichen Parkanlagen mokierten, die trotz ihres Erholungswertes das nicht ermöglichen, was das Herzstück der traditionellen chinesischen Gartenanlage ausmacht: Seelenraum für seinen Erbauer und auch seine Besucher sowie ein Ort für einen Wahrnehmungsakt von Natur zu sein, der nicht loszulösen ist von einer bestimmten Kultur der Wahrnehmung.
In einem seiner Texte aus dem Band Wolkenpost (Zürich: Diogenes/ Steidl, 2021, S. 32) erfahren wir von dem als „Sprayer von Zürich“ bekannten Harald Naegeli, dass nicht nur in China ein kultureller Akt den Blick für die Natur öffnen und dabei auch schöpferische Potentiale freisetzen kann: „liebe freunde, heute begab sich die wolke (in menschengestalt) ins Museum Rietberg, um die werke eines zen-meisters namens sengai aus dem 15. jhdt zu besichtigen. die werke dieses mönchs bezaubern sie vor allem durch Humor und Heiterkeit. so geistig erfrischt, suchte sie eine dachterrasse auf, um den abendhimmel zu betrachten und zu zeichnen. ihre lieblingsbeschäftigung seit langem. denn leicht und mühelos wird sie zum buddha, selbst wenn sie gar nichts tut. liebe grüße, eure wolke“
Eine schöne Anregung, bei diesen wunderbaren Herbstfarben einen Park aufzusuchen oder den eigenen Garten zu genießen, um die Gedanken und Sinne kreativ schweifen zu lassen.